Samstag, 26. Februar 2022

Ein interessantes Webgerät

Vor einigen Jahren besuchte ich die Webstuhlmanufaktur Rudi Künzl in Gilten, um meine Garnvorräte aufzustocken, dort stand in einem der Räume ein ungewöhnlicher Webstuhl,  der sofort meine Aufmerksamkeit erregte.

 

Der Webstuhl hatte weder Schäfte noch Litzen, die Kettfadenaushebung und damit die Mustermöglichkeiten wurden offenbar durch das Drehen einer gefächerten Kunststoffwalze in der Mitte dieses eigenartigen Webgeräts erzeugt.


 
Als ich ein paar Jahre später bei Ebay-Kleinanzeigen auf das Angebot eines kleinen Webrahmens mit einer geschlitzten Kunststoffwalze in der Mitte stieß, ahnte ich, dass es sich um ein ähnliches Prinzip handeln müsse und aus reiner Neugier kaufte ich den Rahmen.


Schnell war eine kleine Probekette aufgezogen und ich konnte sehen, dass die Scheiben der Walze so eingerichtet waren, dass es möglich war mit diesem Gerät durch Drehen der Walze gleichseitigen Köper und Panama zu weben, denn durch jede Vierteldrehung wird die Lage der Kettfäden entsprechend verändert. Durch Variation der Reihenfolge und der Richtung der Drehung kann man auch noch weitere Muster erzielen.


 

Natürlich interessierte es mich, wo dieser Webrahmen herkam und ich nahm Kontakt zu Rudi Künzl auf, der mir freundlicherweise eine Kopie der Bedienungsanleitung seines Webstuhls schickte.

 


Kurz danach fand ich im Internet eine Anzeige, die die Firma noch 1985 im Weaver´s Journal geschaltet hatte.
 


Und ich stieß im Netz auf der Seite FPO, freepatents online, schließlich auf ein amerikanisches Patent von 1938, in dem ein Rahmen beschrieben war, der meinem Modell sehr ähnlich war.

 

Quelle: www.freepatentsonline.com

Allerdings fehlt meinem Rahmen eine Art Kamm, wie er für den oben abgebildeten "Webapparat" vorgesehen war.

 


Natürlich war meine Überraschung groß, als ich vor nicht langer Zeit wieder auf ein Angebot dieses ungewöhnlichen Webrahmens stieß. Er wurde im Originalkarton mit Bedienungsanleitung angeboten und das war für mich Grund genug, ihn zu kaufen, da ich hoffte, über die Bedienungsanleitung mehr über den Hersteller des Rahmens erfahren zu können.

 


Leider besteht die Bedienungsanleitung nur aus zwei Seiten getipptem Text, in dem die Arbeitsweise des "Holzwebrahmens" mit "beigefügter Plastikscheibenarbeitswalze"  erläutert wird und zwei Seiten mit Zeichnungen, die den Vorgang allerdings sehr gut bebildern. Einen Herstellernachweis gibt es leider nirgendwo, nur auf dem Rand des Kartons ist zu sehen, dass das Gerät von Quelle verkauft wurde

 

 

Der Inhalt des Kartons zeigte, dass der Rahmen kaum benutzt war. Er war mit dem beigefügten Garn bespannt und dann angewebt worden. Wie so oft bei einfachen Webrahmen, war der Schuss viel zu eng angedrückt worden, so dass eine Art Schussrips  entstand. Das Ergebnis hatte offenbar nicht dazu eingeladen, sich weiter mit dem Webrahmen zu beschäftigen.


 

Ich habe erst einmal die Schussfäden wieder rausgefriemelt und dann mit einer Kontrastfarbe angefangen zu weben.


 

 

Die Musterwalze hat eine Webbreite von 22 cm und eine Kettfadendichte von 24 Fäden pro Zentimeter, das ist eine recht weite Einstellung. Will man ein ausgeglichenes Gewebe herstellen, braucht man auch im Schuss ein dickeres Garn und man darf den Faden nur leicht andrücken. Am besten ging das mit einer leeren Webnadel.

 


Die Achse der Walze habe ich seitlich mit den Zahlen 1 bis 4 beschriftet, um die vier möglichen Fächer genauer einstellen zu können. Dann habe ich angefangen, ein paar Dreh-Kombinationen mit der Walze auszuprobieren. 

Um Panama wie in den roten Streifen zu weben, muss ich nur in Stellung 1 und 3 weben, alternativ in Stellung 2 und 4. 

Das obere Muster ist durch die Drehreihenfolge  *1-2-3, 2-3-4, 3-4* entstanden. 

Und im obersten Muster auf dem nächsten Bild habe ich  *1-3-2-4* eingestellt und einen Kreuzköper gewebt.

 


Das kleine Probestück von meinem ersten Rahmen habe ich abgeschnitten, es hatte 4-fädiges Sockengarn in der Kette und 6-fädiges im Schuss, den hellgrauen Teil am Ende habe ich mit Lopigarn geschossen. Das Ergebnis ist ein weiches, stabiles Gewebe, man könnte auf diese Art gut einen warmen Schal weben. Allerdings wäre er für einen Erwachsenen zu kurz, denn die umlaufende  Kettlänge beträgt gerade einmal 143 cm.